
DIE TRAKTUR
Um überhaupt eine Orgel
spielen zu können, bedarf es einer "Steuerungszentrale"
(Spieltisch) und einer Verbindung von dieser zu den Windladen mit
den Pfeifen (Traktur). Dabei gilt es zwei Trakturformen zu
unterscheiden: Die Ton- oder Spieltraktur, die die Verbindung
zwischen Taste und Tonventil herstellt und die Registertraktur,
die die Verbindung zwischen Registerzug und der Registerschaltung
an der Windlade, beispielsweise der Schleife, herstellt.
Bei
der Orgel gibt es eine Problematik, die es wohl in dieser Weise
bei keinem anderen Musikinstrument gibt: Und zwar die Frage, wie
der Spielimpuls vom Spieler zum Instrument gelangt, anders
ausgedrückt: wie das Signal von der Taste zum Ventil unter
der (den) Pfeife(n) gelangt. Ein heutiger Organist muss hier insbesondere bei den Spieltrakturen mit
mindestens drei vollkommen unterschiedlichen Systemen
gleichermaßen gut zurecht kommen: Mit mechanischen,
pneumatischen und elektrischen Steuerungen.
Bei
der mechanischen Traktur, der mit Abstand ältesten,
sozusagen der ursprünglichen Steuerungsart, führt von
der Taste über Winkel, Wippen und andere Umlenkungsmittel
eine dünne Holzleiste (selten auch solche aus Aluminium oder
sogar Bowdenzüge) zum Ventil. Der große Vorteil dieser
Steuerungsart: Der Spieler hat eine völlig direkte
Verbindung zum Ventil, er steht sozusagen „auf Tuchfühlung“
mit ihm und kann sehr genau die Art und Weise der Ventilöffnung
steuern und dosieren. Nachteil: Es ist eine mechnische
Verbindung, alle Befestigungen, Umlenkungen und so weiter
absorbieren einen Teil der ausgeübten Kraft auf die Taste
als Reibungsverlust. Je komplizierter und verwinkelter eine
mechanische Traktur ist, desto schwergängiger und
„schwammiger“ ist sie auch. Erschwerend kommt das
Problem der Windlast hinzu: auf dem geschlossenen
Ventil in der Windlade lastet der Druck der im Ventilkasten
befindlichen und unter Spannung stehenden Luft. Wird das Ventil nun über die Traktur
aufgezogen, muss der Spieler an der Taste zusätzlich zu den
Reibungsverlusten auch noch die Kraft der auf das Ventil
drückenden und unter Druck stehenden Luft überwinden.
Das führt dazu, dass es bei Orgeln gewisser Größe
und/oder Weitläufigkeit zunehmend problematisch wird, diese
über mechanischen Trakturen zufriedenstellend zu steuern,
also zu spielen. Berühmt ist der Johann Sebastian Bach
zugeschriebene Ausspruch über die seinerzeit spektakuläre
„Sonnenorgel“ in Görlitz, es sei „eine
Pferds-Orgel, weilen [weil] es eine Roß-mässige Arbeit
ist, droben zu spielen.“
Die
Funktionsweise einer mechanischen Traktur lässt sich am
besten an der schematischen Darstellung einer Schleiflade
erklären. (Abb. Adelung, Einführung in den Orgelbau, 1972, S. 125)
Wird eine Taste (a)
niedergedrückt, wird die Abstrakte (b), eine schmale
Holzleiste, niedergezogen und diese Bewegung über die
(hölzerne oder eiserne) Welle (d) seitlich weitergeleitet.
Auf Höhe des betreffenden Tonventils führt von der
Welle wiederum eine Abstrakte (f) zur Windlade. (Gegebenenfalls
werden zwischen Wellenbrett (e) und Tonventil noch weitere
Abstrakten und Winkel eingefügt, um auch entfernt liegende
Ventile erreichen zu können.) Mithilfe so genannter Pulpeten
(h) wird die Öffnung des Ventilkastens, durch die die
Abstrakte mit dem Ventil verbunden ist, abgedichtet . Im
Ventilkasten wird nun das Ventil niedergezogen, Luft kann in die
Tonkanzelle strömen. Doch bevor ein Ton erklingen kann,
muss noch eine Schleife gezogen werden. Dies geschieht
folgendermaßen: Wird ein Registerzug (q) gezogen, wird
diese Bewegung über Winkel (r), Wippen (s) und Abstrakten
zur entsprechenden Windlade geleitet und dabei ggf. auch in ihrer
Richtung gedreht (in der Abbildung um 90°). Durch die
Bewegung wird nun die Schleife (p) so verschoben, dass ihre Bohrungen
bündig mit denen der Kanzellen und der Pfeifenstöcke
sind. Nun kann, wenn ein Tonventil geöffnet wird, die Luft
in eine Pfeife strömen. Diese mechanische Traktur findet mit
geringen Abweichungen auch bei Spring- und Kegelladen Verwendung.
Auf praktikable
Lösungen des Problems mit der „rossmäßigen
Arbeit“ kam man im 19. Jahrhundert. Die „kleine“
Lösung wurde durch den englischen Orgelbauer Charles
Spackman Barker (1807-1879) bekannt, nämlich der nach ihm
benannten Barkerhebel. Bei ihm wird in die nach wie vor
grundsätzlich mechanische Verbindung zwischen Taste und
Ventil ein pneumatischer Apparat zwischengeschaltet. Der Spieler gibt
den Impuls über eine relativ kurze und direkte mechanische
Traktur an einen kleinen Keilbalg weiter, der seinerseits das
Signal wieder an den Rest der Traktur bis zum Ventil weitergibt.
Der Spieler muss also lediglich die Energie für die
Trakturstrecke bis zum Barkerhebel aufwenden, was zu einer
enormen Erleichterung führen kann. Der berühmte
französische Orgelbauer
Aristide Cavaillé-Coll
(1811-1899) baute in seinen Orgeln nahezu ausschließlich
mechanische Trakturen mit Barkerhebeln und konnte so selbst bei
so riesigen Instrumenten wie beispielsweise in St-Sulpice in
Paris eine größtmögliche Leichtgängigkeit
der Spieltrakturen ermöglichen.
Zwar ist eine solche mechano-pneumatische Traktur im Grundsatz beinahe ebenso
präzise wie eine rein mechanische, der direkte Kontakt des Spielers
zum Ventil aber geht verloren. Hinzu kommt - je nach Bauart und Standort
der Barkermaschine - eine nicht unerhebliche Geräuschentwicklung, die entsteht,
wenn sich die kleinen Keilbälge öffnen und schließen.
Die radikalere Lösung
wurde besonders in Deutschland sehr populär: Die rein
pneumatische Traktur, bei der durch den Tastendruck im
Spieltisch ein pneumatisches Signal bis zum Ventil läuft und
dieses öffnet. Pneumatische Trakturen existieren in zwei
unterschiedlichen Arten: als Einstrom- und Ausstromsystem. Beide
haben allerdings einen erheblichen Nachteil: Da Luft elastisch
ist, laufen pneumatische Trakturen immer Gefahr, das Signal von
der Taste ans Ventil mit einer deutlichen Verzögerung
weiterzugeben (hier gilt: je länger der Trakturweg, desto
größer die Verzögerung). Zwar gelang es einigen
wenigen exzellenten Orgelbauern des späten 19. und frühen
20. Jahrhunderts, ihre pneumatischen Systeme so zu konstruieren,
dass sich die Verzögerungen in vertretbarem bis sogar sehr akzeptablen
Rahmen hielten,
aber allgemein begann man sich peu à peu an der zwar
herrlich leichtgängigen, aber eben auch ziemlich unpräzisen Steuerung
zu stören (zumal die Verzögerungen innerhalb einer
Orgel von Teilwerk zu Teilwerk merklich verschieden sein können:
Häufig hat das Pedalwerk eine deutlich stärkere
Verzögerung als die Manualwerke, was dazu führt, dass
man asynchron spielen muss, um synchrone Klänge zu
erhalten...).
Nach ersten, wenig
erfolgreichen Versuchen bereits im 19. Jahrhundert begannen sich
daher im frühen 20. Jahrhundert die elektropneumatischen
und rein elektrischen Trakturen durchzusetzen. Während
bei den elektropneumatischen Trakturen das elektrische Signal auf
dem Weg vom Spieltisch zur Windlade in ein pneumatisches
umgewandelt wird, führen bei der elektrischen Traktur nur
noch Kabel und Drähte von den Tasten zu den Ventilen, die
über Elektromagnete geöffnet werden. Diese
Trakturformen haben den enormen Vorteil, dass man den Spieltisch
praktisch beliebig weit vom eigentlichen Instrument entfernt
aufstellen kann und dass die Spielart äußerst
leichtgängig ist. Sie haben aber den Nachteil, dass es beim
elektrischen Strom nur exakt zwei Zustände gibt: An oder
Aus. Das bedeutet, der Spieler hat keinerlei Einfluss mehr
darauf, wie schnell oder zögernd er das Ventil öffnen
möchte. Dazu kommt, dass das ruckartige „Aufreißen“
des Ventils durch den Elektromagneten auch durchaus am
Einschwingvorgang der betreffenden Pfeife(n) hörbar ist,
eine elektrisch angesteuerte Pfeife klingt also anders als eine
mechanisch angesteuerte!
All diese Systeme
bestehen heute nebeneinander. Zwar ist man seit einigen
Jahrzehnten bei Orgelneubauten dazu übergegangen, nach
Möglichkeit wieder mechanische Spieltrakturen zu verwenden
(inzwischen gibt es auch allerlei Kniffe und Tricks, die die
„Alten“ noch nicht kannten), aber auch elektrische
Trakturen werden durchaus noch verwendet, wohingegen pneumatische
nur noch „museal“ anzutreffen sind.
Übrigens lassen
sich über all diese Steuerungsformen natürlich auch die
Register steuern, man spricht von der Registertraktur. Hier
überwiegen die Vorteile der elektrischen Traktur gegenüber
der mechanischen ganz erheblich, spätestens seit durch die
Mikroelektronik solche Hilfmittel wie Setzer, die eingestellte
Registrierungen speichern und jederzeit wieder abrufbar machen,
möglich sind.
Industriesteuerung Ein
entscheidender Nachteil der elektrischen Traktur ist, dass für
jedes einzelne Signal, also für jede Verbindung von einer
Taste zum dazugehörigen Ventil und von jedem
Registerschalter zur dazugehörigen Registerschaltung an der
Windlade, eine elektrische Leitung gezogen werden muss. Das führt
zu einer Unmenge an "Kabelsalat" in der Orgel und
zu sehr großen und in ihrem Inneren unübersichtlichen
Spieltischen. Darüber hinaus ist das Fehler- und
Unfallrisiko durch die tausenden von kalten Lötnähten,
Lötstellen, die mechanischen Kontakte und durch die
Oxidation recht hoch. Eine Alternative könnte hier die
Verwendung von Industriesteuerungen sein. Mir persönlich ist
bisher nur eine einzige Orgel mit einer solchen Traktur bekannt:
Die Matz & Luge-Orgel der Herz Jesu-Kirche in Ettlingen (bei
Karlsruhe). Der folgende Textausschnitt ist einer Beschreibung
dieser Orgel entnommen: "[...] In der industriellen
Automation werden zahlreiche unterschiedliche Steuerungssysteme
verwendet. Aus dieser Vielzahl haben wir uns für eine
Speicherprogrammierbare Steuerung [...] entschieden. Eine
solche Steuerung besteht zunächst aus einer Rechnereinheit,
womit schon klar ist, dass man sich ab jetzt in der
Digitaltechnik befindet. Dzu werden Eingänge benötigt,
die ein Ereignis, wie das Niederdrücken einer Taste, an den
Rechner weiterleiten. Im Rechner müssen nun Anweisungen,
genannt Programme, hinterlegt werden, in denen definiert
wird, welche Ausgänge, beispielsweise Tonventilmagnete, beim
Auftreten eines bestimmten Ereignisses angesprochen werden
sollen. Darin liegt nun der große Unterschied zur
traditionellen Orgelbautechnik: Nicht durch Abstrakte oder Kabel
wird ein Ereignis, ein Signal, von der Taste zum Ventil
weitergeleitet, sondern durch eine Programmanweisung. [...] Soll
zum Beispiel das Signal auf Taste A (beispielsweise Ton C) dem
Ventil B entsprechen (das wäre eine Kanzelle C), und man
möchte noch eine Superoktave hinzufügen, so muß
in dem Programm lediglich folgendes hinterlegt werden: Wenn
Signal A aufritt, dann Magnet B und Magnet C (das wäre in
diesem Fall Kanzelle c°) gleichzeitig anziehen. Eine kleine
Programmzeile ersetzt hier also einen ganzen Kabelbaum. [...] Es
bestehen aber noch weitere Vorteile für unser Projekt, eine
Orgel mit sieben Teilwerken für drei Manuale und Pedal [alle
vier Werke verfügen über jeweils getrennte Laden für
Prinzipale, Flöten/Streicher und Zungen] zu errichten: Die
Zuordnung von bestimmtem Manual an bestimmtes Werk - wie
beispielsweise Manual I = Hauptwerk - wurde völlig
aufgegeben, da der Organist in der Entscheidung frei sein soll,
welches Teilwerk er auf welchem Manual spielen möchte. Das
mag zunächst ungewöhnlich erscheinen. Stellt man sich
jedoch vor, dass es auf diese Weise möglich ist, auf ein und
demselben Werk die Solostimme als auch die Begleitstimme zu
spielen - die Oboe 8' im dritten Manual wird begleitet mit den
Flöten dieses Werkes, oder alle Zungen werden im dritten
Manual gespielt, ohne dass sie trotz Kopplungen für die
übrigen Register in den anderen Manualen mitspielen -, so
eröffnet sich eine ganz neue Dimension für die Musik.
[...] Weitere Vorteile dieser Steuerungstechnik liegen in der
Abkehr von der zentralen Montage aller relevanten Teile im
Spieltisch, wie bisher, vom dem dann Kabelstränge zu den
Windladen führten. Wir haben die Orgelanlage dezentral
aufgebaut, das heißt es gibt [nur] eine Zentrale, das ist
der Rechner selbst. Alle anderen Komponenten, die ankommende
Signale von Tasten und Registerschaltern entgegennehmen, sowie
Komponenten, die dann die auszuführenden Aktionen an die
Magnete weiterleiten, werden direkt vor Ort montiert. [...] Von
diesen Baugruppen wird nur noch ein zweiadriges KabelS
durchgeschleift bis zum Rechner. Folglich ergibt sich eine
bemerkenswerte Rechnung: Anstatt - wie bei einer gewöhnlichen
elektrischen Traktur - 7x58 Kabel für die Manuale und 3x32
Kabel für das Pedal, also 502 Leitungen, und daneben 600
Leitungen für die Spieltischtasten und 212 Leitungen für
die Registermagnete, führen nur noch zwei Adern durch die
Orgel! [...]"
Es wird interessant sein, zu
beobachten, ob sich eine solche Traktur wird durchsetzen können.
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