
DIE SPIELANLAGE
Im letzten Abschnitt wurden die Klaviaturen, über die die einzelnen Werke einer
Orgel angespielt werden können, schon angesprochen. Diese Klaviaturen befinden
sich in der sog. Spielanlage, von wo aus der Organist die Orgel erklingen lassen
kann. Die Klaviaturen sind jedoch nur ein Teil dieser Anlage.
Zunächst gilt es aber, die Terminologie zu verfeinern: Von Spieltischen spricht
man, wenn die Spielanlage freistehend ist, also nicht mit dem Orgelgehäuse
verbunden. Spieltische können direkt vor einer Orgel stehen (bei mechanischen
und pneumatischen Trakturen) oder auch in beliebig großer Entfernung (bei
elektrischen Trakturen). Die freistehenden Spieltische kamen allerdings erst in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. Vorher verfügten die Orgeln
entweder über sog. Spielschränke oder Spieltafeln, die direkt mit der Orgel
verbunden waren, also entweder an deren Vorderseite oder, seltener, seitlich
oder an der Hinterseite in den Gehäusesockel eingelassen waren. Spielschränke
sind im Gegensatz zu Spieltafeln etwas in den Unterbau der Orgel hineinversetzt
und besitzen die Möglichkeit, mit Türen verschlossen zu
werden.
Bei historischen aber auch modernen Orgeln mit Spieltafeln oder -schränken gibt es einen variablen Faktor,
der oft bei Organisten für Stirnrunzeln oder gar Frustration sorgen kann. Die Rede ist vom sog. Einschub:
Bei barocken (oder noch älteren) Orgeln schlossen die Klaviaturen (also auch das Pedal) mehr oder weniger
bündig mit der Gehäusewand ab, was dazu führte, dass insbesondere größere Organisten Platzprobleme mit den Beinen bekamen.
Später ging man dazu über, die Pedalklaviatur in Relation zu den Manualen um einiges in Richtung des Orgelinneren
"einzuschieben", so dass der Spieler auch mit schräg abgewinkelten Beinen spielen kann, was erheblich komfortabler ist,
als sie beständig im rechten Winkel hängen lassen zu müssen und nach vorne hin keinerlei Bewegungsfreiheit zu haben.
Wie groß dieser Einschub ist, war lange Zeit vom individuellen Ermessen des Orgelbauers anhängig und ist auch heute
noch nicht immer und überall standardisiert.
Neben den Klaviaturen beherbergen Spielschränke, -tafeln und -tische auch die
Registersteuerung. Bei mechanisch traktierten Orgeln geschieht das über die sog.
Registerzüge. Diese bestehen aus einem Knauf, auf oder über dem auch meist der
Registername verzeichnet ist und einer Zugstange, die
bei Betätigung über Winkel und Abstrakten bei Schleifladen die Registerschleife
betätigt (siehe Abbildung zur Schleiflade bei Windladen.
Bei Springladen und mechanischen Kegelladen wird dieses Prinzip leicht
abgewandelt angewendet.
Bei pneumatisch oder elektrisch traktierten Orgeln funktioniert die
Registertraktur analog zur Tontraktur, also über Druckluft bzw. über
Elektromagnete. Hier werden die Register im Spieltisch jedoch häufig nicht mehr
durch Registerzüge, sondern durch Registerwippen (ähnlich Lichtschaltern...)
oder gar von Drucktastern repräsentiert. Werden diese
betätigt, wird durch den Kontakt die Registerschaltung aktiviert.
Im Spieltisch lassen zusätzlich zu den klingenden Registern sog. Hilfsregister
einschalten. Hierzu gehören zunächst die Koppeln, mit deren Hilfe sich die
Klaviaturen miteinander verbinden lassen, wodurch sich die Register des einen
(gekoppelten) zusätzlich auf einem anderen spielen lassen.
Es gibt einerseits die sog. Normalkoppeln, die in nahezu jeder Orgel anzustreffen sind:
so lassen sich in aller Regel alle Manualwerke (oder doch jedenfalls die größeren) ans Pedal
koppeln. Im Falle des Hauptwerks schriebe man das als HW/Ped. Die Koppel, mit
deren Hilfe man beispielsweise das Rückpositiv ans Hauptwerk koppeln
kann, schreibt sich RP/HW.
Andererseits gibt es noch Sonderformen der Koppeln, beispielsweise die Oktavkoppeln.
Mit ihnen lässt sich die Registerkombination
einer Klaviatur zusätzlich zur normalen Lage auch um eine Oktave oktaviert oder
suboktaviert spielen, was eine erhebliche Massierung des Klanges bewirkt.
Bei mechanischer Spieltraktur sind Koppeln in aller Regel nur sparsam verwendbar, denn
wenn man beispielsweise zwei Manuale aneinander koppelt, muss man auch den Trakturwiderstand
für beide Werke gleichzeitig überwinden. Das heißt, der Tastenwiderstand wird größer
und das Spiel anstrengender.
Die zweite Spielhilfe ist der Tremulant. Bei ihm handelt es sich um eine
Einrichtung, mit dem der Winddruck im Windkanal oder im Windkasten einer Windlade
zyklisch erhöht bzw. verringert werden kann.
Die Zyklen betragen dabei Sekundenbruchteile. Durch diese
Druckschwankungen in der Windzufuhr wird der Klang der Pfeifen bebend, er wirkt
belebter (wie beim Vibrato der menschlichen Stimme), wohingegen der "normale"
Klang einer Orgel ja sehr starr ist.
Tremulanten werden meist bei solistischen Passagen eingesetzt.
Einen ähnlichen, aber doch im klanglichen Ergebnis ganz anderen Effekt bewirken
die bereits erwähnten Schwebungen.
DER PROSPEKT
Pfeifenwerk und Technik einer Orgel werden mit einem Gehäuse (nahezu immer aus Holz) umgeben.
Dieses hat neben der Schallbündelung und -Lenkung auch die Aufgabe, das
Orgelinnere vor Verschmutzung zu schützen.
Der eigentlichen Orgel in ihrem Gehäuse wird eine Schauseite, ein sog. Prospekt,
vorgeblendet. Dieser ist meist im Stil seiner Entstehungszeit gestaltet und häufig
aufwändig gearbeitet und verziert. Am Prospekt einer Orgel lässt sich eigentlich
immer sehr leicht seine Entstehungszeit ablesen, was aber längst nicht immer
auch Rückschlüsse auf das Alter der dahinter stehenden Orgel zulässt. Oftmals
stehen hinter alten Prospekten deutlich jüngere Orgelwerke. Dieses
"Recycling-Verfahren" hatte zumeist Kostengründe, denn ein aufwändig gestaltetes
Gehäuse kann leicht die Kosten der eigentlichen Orgel überflügeln.
Dass ältere Orgeln hinter einem neueren Prospekt stehen, kommt hingegen nur äußerst
selten vor.
Die im Prospekt stehenden und sichtbaren Pfeifen werden als Prospektpfeifen bezeichnet.
Sie gehören in aller Regel der Familie der Prinzipale an, können durchaus aber aber auch aus anderen
Registerfamilien stammen. Prospektpfeifen bestehen meist aus einer hochprozentigen Zinnlegierung,
die sie besonders prächtig glänzen lässt. In Renaissance und Barock waren aber auch Prospektpfeifen aus
(beinahe) reinem Blei oder hochprozentigen Bleilegierungen üblich, die dann wiederum teilweise mit
Zinn- oder gar Silberfolie
belegt wurden, um sie prächtiger erscheinen zu lassen. Im 19. und 20. Jahrhundert verwendete man
bisweilen aus Kostengründen
(nur selten aus ästhetischen) Zink für die Prospektpfeifen, die dann beinahe immer mit Silberbronze
lackiert wurden.
Während es im 16. und 17. Jahrhundert häufiger vorkam, dass Prospektpfeifen durch Ziselierungen
aufwändig verziert wurden,
trifft man bei englischen Orgeln des 19. Jahrhunderts oft auf mit prächtigen und farbenfrohen Ornamenten
verzierte
Prospektpfeifen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrnunderts waren vereinzelt auch Prospektpfeifen aus
geflämmtem Kupfer anzutreffen.
In Deutschland sind bei historischen (lies: vor 1918 erbauten) Orgeln nur noch in wenigen Einzelfällen
die originalen
Prosopektpfeifen erhalten. Dies hat seinen Grund darin, dass inmitten des 1. Weltkriegs, im Jahre 1917,
aufgrund des großen
Rohstoffmangels beschlossen wurde, von allen Orgeln die ja meist aus hochprozentigen Zinnlegierungen
bestehenden Prospektpfeifen
zu konfiszieren. Ausnahmen gab es nur für Instrumente, die als besonders wertvolle Kulturdenkmale eingeordnet
wurden.
Auf diese Weise blieben beispielsweise die gewaltigen Prospektpfeifen der fantastischen Orgel der Basilika
Weingarten erhalten,
während diejenigen einer aus heutiger Sicht mindesten ebenso bedeutenden Orgel, nämlich der der Jakobi-Kirche in Hamburg
zusammen mit ungezählten anderen eingeschmolzen und zu Konservendosen und anderem verarbeitet wurden...
Ersetzt wurden die
Prospektpfeifen dann im Laufe der kommenden Jahre durch solche aus Zink, weil Zinn noch bis nach dem 2. Weltkrieg
beinahe unerschwinglich für solche Zwecke blieb.
Seit den 20er Jahren des 20. Jhd. werden aber auch Orgeln geschaffen, die ohne ein
Gehäuse auskommen. Damit entfällt aber auch deren akustische Funktion, die
Schallbündelung, was bei ungünstigen Raumverhältnissen zu einem diffusen
Klangbild führen kann.
An den Prospekten, die seit der Renaissance bis ins späte 18. Jhd. hinein
geschaffen wurden und die seit einigen Jahrzehnten auch wieder nachgeahmt werden,
lässt sich der Werkaufbau der jeweiligen Orgel ablesen. D. h. der Prospekt ist
in leicht unterscheidbare Teilbereiche gegliedert, hinter denen jeweils ein
bestimmtes Teilwerk installiert ist.